Früherkennung von Brustkrebs : für wen und wie
Referat anlässlich des Symposiums Früherkennung von Brustkrebs, organisiert durch Europa Donna Belgium am 29. Mai 2018.
Pr. Anne Vandenbroucke
Centre Communautaire de référence pour le dépistage des cancers.
Beginnen wir mit einer hervorragenden Neuigkeit : die Mortalitätsrate durch Brustkrebs sinkt kontinuierlich seit Beginn der 90er Jahre, da der Krebs dank der Früherkennung entdeckt und behandelt werden kann, bevor sich Metastasen gebildet haben, die Ursache für die Sterblichkeit sind, und weil die Behandlungen effektiver geworden sind.
Früherkennung und Diagnose nicht verwechseln !
Die Diagnostik hat als Ziel, die Art der Anomalie im Brustbereich zu erkennen : gutartige Veränderung oder Krebs.
Früherkennung richtet sich an Frauen, die (noch) keine Anzeichen für Brustkrebs haben.
Ziel ist das Aufspüren (und behandeln) von Krebs im Frühstadium um eine Weiterentwicklung in ein weiteres Stadium zu verhindern und somit
- die Mortalität durch Brustkrebs zu vermindern
- und weniger belastende Behandlungen durchzuführen
In 99% der Fälle können die Frauen durch ein normales Resultat beruhigt werden
Jedoch kann die Früherkennung auch negative Aspekte haben:
- Überdiagnostik: Aufspüren eines Krebses, der nicht zu gesundheitlichen Problemen geführt hätte. Auf diese Diagnostik folgt eine unnötige Behandlung.
- Falsch positive Resultate: Verdacht auf Brustkrebs, der nicht durch nachfolgende Zusatzuntersuchungen bestätigt wird.
Früherkennung kann nur angeraten werden, wenn das Verhältnis des zu erwartenden Nutzens/ negative Aspekte günstig ist. |
Organisiertes Früherkennungsprogramm (Mammotest) und individuelle Früherkennung
Früherkennung von Brustkrebs kann im Rahmen eines organisierten Früherkennungsprogramms oder im Rahmen einer "individuellen“ Früherkennung durchgeführt werden.
Das Früherkennungsprogramm wird nach den im « European guidelines for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis » [1] definierten Normen durchgeführt: Qualitätskontrolle und durchgehende Evaluierung.
Die Qualitätskontrolle beinhaltet:
- die Kontrolle der Geräte zur Mammografie, um ein bestes Bild bei möglichst geringer Bestrahlung zu erhalten
- eine Qualitätskontrolle der Aufnahmen, insbesondere der guten Positionierung der Brust
- eine doppelte unabhängige Befundung [2] aller Aufnahmen, um
- "falsch Negative" der ersten Befundung zu vermeiden (10% der Krebse)
- nutzlose Zusatzuntersuchungen zu vermeiden ("falsch Positive").
Früherkennung richtet sich an Frauen von 50 bis 69 Jahren. Nur in dieser Altersklasse ist bewiesen, dass der erwartete Nutzen bedeutender als die potentiellen Nebenwirkungen ist. Diese Frauen werden alle 2 Jahre mittels persönlichen Briefs eingeladen, einen Termin in einer anerkannten Mammografieeinheit zu vereinbaren. Diese anerkannten Einheiten entsprechen den Normen "European guidelines for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis". Die Liste der anerkannten Mammografiezentren ( +/- 80 in Wallonie und DG) liegt der Einladung bei. Sie kann auch auf www.ccref.org eingesehen werden. Alle Listen der Mammografieeinheiten sind auf unserem Site Links rubrique Dépistage zu finden.
Der Einladungsbrief zählt als Verordnung. Selbstverständlich kann auch ihr Hausarzt oder Gynäkologe einen Mammotest verschreiben.
Der Mammotest besteht aus 2 Röntgenaufnahmen einer jeden Brust, durchgeführt von einer Technikerin mit spezifischer Ausbildung in diesem Bereich.
Das « standardisierte » Resultat der Befundung der Aufnahmen durch den Radiologen ist auf einer Web-Benutzeroberfläche registriert. Die Aufnahmen werden dann mittels einer gesicherten Internetlinie zum Zentrum der 2. Befundung gesandt, wo sie einer unabhängigen zweiten Befundung unterliegen: der zweite Röntgenarzt kennt das Resultat des ersten nicht. Falls die zwei Meinungen nicht übereinstimmen, wird eine dritte Meinung eingeholt. Zusatzuntersuchungen (klinische Untersuchung, Ultraschall…) werden nach der zweiten Befundung durchgeführt, falls die beiden Radiologen dies als notwendig erachten. Die Rückrufquote wegen Zusatzuntersuchungen liegt bei 7 bis 10%.
Das Resultat des Mammotest wird dem Referenzarzt innerhalb von 6 Tagen, ab Mammografie, zugestellt.
Der Mammotest ist kostenlos (kein Geld vorstrecken).
Die individuelle Früherkennung erfolgt nur mit ärztlicher Verordnung. Sie umfasst eine Anamnese, eine klinische Untersuchung, eine Mammografie, einen Ultraschall und bei Bedarf eine Probeentnahme. Sie unterliegt nicht den Qualitätsnormen, die im Programm verpflichtend sind, und auch keiner doppelten Befundung. Qualität und Wirksamkeit der individuellen Früherkennung werden nicht evaluiert.
Die Anzahl durchgeführter Ultraschalluntersuchungen sowie der Probeentnahmen liegt bei der individuellen Früherkennung viel höher als im Programm (Mammotest), jedoch ohne bewiesene Steigerung der Anzahl entdeckter Krebse [3].
Die „individuelle“ Früherkennung wird rückerstattet. Der Selbstkostenbeitrag beträgt 15 Euro.
Das Früherkennungsprogramm bietet eine größere Garantie in Bezug auf Qualität und Sicherheit als die « individuelle » Früherkennung». Es vermindert das Risiko von "falsch negativ" oder "falsch positiver" Befundung, die nutzlose und teure Zusatzuntersuchungen nach sich ziehen, sowie das Risiko der "Überdiagnostik" [4]. |
Richtlinien bei dichtem Brustgewebe
Im Falle von dichtem Brustgewebe (BI-RADS C oder D) ist die Inzidienz-Quote für Brustkrebs um den Faktor 1,2 bis 2,1 erhöht [5]. Jedoch haben nur 50% der Frauen mit dichtem Brustgewebe ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs [6].
Dichtes Brustgewebe verhindert nicht das Aufspüren eines Krebses bei der Mammografie.
Die unabhängige doppelte Befundung, wie im Programm durchgeführt, ist bei diesen Frauen von besonderem Nutzen: sie ermöglicht das Aufspüren von 14% der Krebse, die nicht vom ersten Radiologen identifiziert wurden. Im Falle von schwacher Gewebsdichte (BI-RADS A oder B) werden durch die doppelte Befundung 10% Krebse entdeckt. [7]
Bei Frauen mit dichtem Brustgewebe und
- keinem „erhöhten“ Risiko für Brustkrebs besteht kein Konsens zur Durchführung von zusätzlichen Untersuchungen zur Mammografie. Der Ultraschall spürt nur wenige zusätzliche Brustkrebse auf und ist oft Ursache von ‚falschem Alarm’, der weitere Untersuchungen wie Biopsien oder Punktionen mit sich zieht
- Bei einem Brustkrebsrisiko über 20% wird ein MRT zusätzlich zur Mammografie empfohlen [8]
Richtlinien abhängig vom Alter
Frauen von 50 bis 69 Jahren : Früherkennung ist empfohlen, da die Bilanz erwarteter Nutzen/Nebenwirkungen vorteilhaft ist.
Frauen von 40 bis 49 Jahren : das Verhältnis erwarteter Nutzen/ Nebenwirkungen ist ungünstig (negative Effekte durch falsch positive oder falsch negative Resultate, Überdiagnostik und Bestrahlung).
Frauen von 70 bis 79 Jahren : die Indikation zur Früherkennung wird Fall für Fall besprochen, hauptsächlich in Bezug auf die Lebenserwartung der Patientin (andere bestehende potentiell tödliche Erkrankungen) [9].
Richtlinien bezüglich des Risikoniveaus
Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter.
Jede 10. Frau wird im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkranken.
9 von 10 werden nicht daran leiden.
Jedoch
- besteht bei 5% der Frauen ein „erhöhtes“ Risiko für Brustkrebs (lebenslanges Risiko zwischen 17 und 29%) infolge familiärer Vorgeschichte: Brustkrebs bei einem Familienmitglied 1. Grades vor dem Alter von 40 Jahren, bei 2 Mitgliedern 1. oder 2. Grades nach 50 Jahren oder bei 3 Mitgliedern des 1. oder 2. Grades nach 60 Jahren. [10]
Richtlinie : jährliche Mammografie ab 40 bis 49 Jahren. Diese Untersuchung muss in Anwendung der europäischen Richtlinien und Anforderungen durchgeführt werden.
Zwischen 50 und 69 Jahren können Frauen mit erhöhtem Risiko am allgemeinen Früherkennungsprogramm (Mammotest) teilnehmen und alle 2 Jahre eine Mammografie durchführen lassen. [11] - bei 1% der Frauen des besteht ein "sehr hohes" Risiko (lebenslanges Risiko 30% oder mehr) infolge familiärer oder persönlicher Vorgeschichte.
Richtlinie : unabhängig von ihrem Alter können Frauen mit sehr hohem Risiko eine jährliche kostenlose Früherkennung durchführen lassen. Diese verbindet Mammografie, Ultraschall und/oder MRT. [12]
Außerdem sollten diese Frauen in den Genuss einer onkogenetischen Beratung und eventuell genetischer Tests kommen.
N.B. Die Auswirkung einer „aggressiveren“ Früherkennung auf die Mortalität bei erhöhtem Brustkrebsrisiko wurde noch in keiner Studie evaluiert
Bei der Mehrheit der Frauen (94%) besteht kein « hohes » Risiko für Brustkrebs.
Andererseits gibt es bei 70 bis 80% der Frauen mit Brustkrebs keine familiäre Vorgeschichte von Brustkrebs. |
To screen or not to screen ?
Ethisch gesehen ist es unerlässlich, eine "objektive" Informationsstrategie zu Nutzen, Risiken und Unsicherheiten der Früherkennung zu entwickeln.
Dies ist schwierig, da die verschiedenen Studien gegensätzliche Schlussfolgerungen zur Effizienz der Früherkennung sowie zum Ausmaß ihrer negativen Effekte ergeben haben.
Jedoch haben die Experten des Internationalen Forschungszentrums für Krebs (CIRC- IARC) [13] nach erneuter Lektüre geschlussfolgert, dass für Frauen von 50-69 Jahren die Einsetzung einer Früherkennung mittels Mammografie im Rahmen eines gesicherten Qualitätsprogramms einen klaren Vorteil bringt: "die signifikante Verminderung der Mortalität infolge Brustkrebs überwiegt die negativen Effekte von Überdiagnostik und anderer unerwünschter Nebenwirkungen". Ein gesichertes Qualitätsprogramm ist Grundbedingung um ein adäquates Gleichgewicht zwischen Vorteilen und negativen Effekten zu erhalten. “After a careful evaluation of the balance between the benefits and adverse effects of mammographic screening, the working group concluded that there is a net benefit from inviting women 50 to 69 years of age to receive screening. Comprehensive quality assurance is essential to maintaining an appropriate balance between benefits and harms”.
« Es ist schwierig, Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium zu heilen. Die Botschaft lautet, den Krebs frühzeitig zu erkennen, bevor er zu Metastasen geführt hat. [14]
Anmerkung:
Damit Früherkennung einen Einfluss auf die Mortalität durch Brustkrebs haben kann ist es unerlässlich, dass die weitere Betreuung in einer angemessenen Zeitspanne erfolgt und dass die Behandlung konform zu den anerkannten wissenschaftlichen Protokollen ist.
[1] European guidelines for quality assurance in breast cancer screening and diagnosis. Fourth edition EC. 2006 http://www.euref.org/downloads/4th-edition-guidelines et suppl. 2013 http://www.euref.org/downloads?download=46:supplement-4th-edition-european-guidelines
[2] le 2ème radiologue ne connaît pas l'avis du 1er radialogue. En cas de discordance entre l’avis des 2 radiologues, un 3ème avis est requis.
[3] Données pour la Wallonie Rapport n° 7 de l’Agence intermutualiste. www.nic-ima.be
[4] lrcb.nl /201401EPopulation_screening_for_breast_cancer_expectations_and_developments-1.pdf
[5] Slanetz P. N Engl J Med 2015; 372:593-595
[6] Kerlikowske K. et all Ann Intern Med 2015 ; 162 :673-81
[7] Centre de deuxième lecture - CCR 2010-2014
[8] Lourenco A et al Acad Radiol 2017 ; 24: 1265-1267.
[9] KCE Reports 129B 2010; 172B 2012; 176B 2012; USPSTF (US Preventive task Force –USA ) 2015
[10] 1er degré : mère, père, sœur, frère, fils, fille
[11] KCE Reports 172B 2012
[12] Moniteur Belge 24-12-2015
[13] Viewpoint of the IARC ( Centre international de recherche sur le cancer) Working Group N Engl J Med 2015; 372:2353-2358
[14] Professeur M. Piccart Présidente du Breast International Group